2. Reform des Gesetzes zum Sachverständigengutachten

Reform des Gesetzes zum Sachverständigengutachten ein Schlag ins Wasser?

 Harsch war die Kritik bei der kleinen Anfrage der Fraktion die Linke am 11.3.13, die den Anstoß gab zur Reform des Rechts über das Sachverständigengutachten, die schließlich, am 15.10.2016 zu einer Änderung der Zivilprozessordnung führte und seit dem 1.11.2016 in Kraft getreten ist:

  1. Die Versicherungsgesellschaften als Weltkonzern verfügten über finanzielle Ressourcen und Netzwerke, die sie in eine vorteilhafte Position brächten. Während die Geschädigten ein Interesse an einer schnellen Schadensabwicklung hätten, zögen die Versicherungsgesellschaften die Verfahren in die Länge, damit sich die Geschädigten in einen von der Versicherung diktierten Vergleich einließen, von dem nur die Versicherungen profitierten.
  2. Gutachter würden durch Aufträge bzw. Entzug von Aufträgen in ihren Beurteilungen durch die Versicherungsgesellschaften beeinflusst. In dem NDR-Beitrag „Nein-Sager – wenn Versicherungen nicht zahlen“ vom 4.09.12 wurde das Volumen an außergerichtlichen Aufträgen der Gutachter und Gutacherinnen mit 400.000 bis 1.250.000 Euro pro Jahr beziffert. Auf diese Aufträge müssten sie verzichten, wenn sie als gerichtlich bestellte Gutachter nicht in den Interesse der Versicherungen handelten. Diese Zusammenhänge seien von den Gerichten schwer zu erkennen. Es gäbe keine Einzelfälle, sondern offenbar Strukturen, die sicherstellten, dass Gutachter oder Gutachterrinnen immer wieder Gefälligkeitsgutachten erstellten. Es bliebe den Gerichten überlassen, parteiische Gutachten als solche zu entlarven und nicht im Versicherungsprozess zu verwenden. Mitunter müssten sie die Sachverhalte nicht durch sondern gegen die vorliegenden Gutachten aufklären.

Es wäre Aufgabe des Gesetzgebers, die Rahmenbedingungen so zu setzen, dass die Gerichte sowohl in der Lage als auch in der Pflicht wären, entsprechend zu verfahren. Es müsse sichergestellt sein, dass sie trotz der strukturellen Ungleichheit der Prozessparteien in einem fairen Prozess zu einer gerechten Entscheidung gelangten.

Diese Petition wurde von Deutschen Bundestag aufgegriffen und es wurden drei Änderungen vorgeschlagen.

  1. Der Sachverständige müsse alle Gründe und Beziehungen benennen, aus denen er ein Interesse an dem Ausgang des Verfahrens haben könnte, hierzu gehörten insbesondere frühere Berufs-, Sachverständigen- oder Beratertätigkeiten.
  2. Zudem sollten den Parteien des Gerichtsverfahrens bei der Auswahl des Sachverständigen mehr Mitsprache und Einfluss gegeben werden, indem die Parteien vor der Bestellung durch das Gericht angehört werden sollten.
  3. Schließlich sollte dem Missstand abgeholfen werden, dass die Erstellung des Sachverständigengutachtens sehr lange Zeit in Anspruch nehmen würde.

Erstaunlich anders als in der Petition der Linken fielen die Einschätzungen der Anwaltsvertreter und der höchsten Gerichte aus, denen der Gesetzentwurf zur Stellungnahme zugänglich gemacht wurde.

Die Bundesrechtsanwaltskammer gab zu bedenken, dass das Gesetz darauf hinauslaufen könne, dass die Parteien Sachverständige benennen, von denen sie meinen, dass sie der Sache günstig gegenüber stehen. Ortsfremden wäre der Sachverständige, der benannt wird, nicht bekannt, so dass sie benachteiligt sein könnten. Daher wurde angeregt, dass derjenige, der den Sachverständigen benennt, sich zu dessen Qualifikationen äußern sollte. Dann könnten sich der andere Prozessbeteiligte und das Gericht sich eine Meinung bilden und das Gericht könne auf dieser Basis den Sachverständigen vorschlagen.

Die Festlegung eines höheren Ordnungsgeldes könnte Druck auf Sachverständige ausüben. Allerdings handele es sich um repressive Maßnahme. Es wäre von Interesse, zunächst zu untersuchen, welche Auswirkungen solche Ordnungsgelder tatsächlich auf das Gutachten haben.

Der Deutsche Anwaltsverein äußerte die Ansicht, dass die Berücksichtigung von Bedenken der Parteien im Rahmen des Auswahlprozesses gegenüber dem Sachverständigen weitgehend bereits gängiger Rechtspraxis entspräche (was ich bestätigen kann). Die gesetzliche Normierung wäre grundsätzlich zu begrüßen.

Zu bedenken gab er, dass der Gesetzgeber in seinen Begründungen davon ausginge, dass sich das Gericht mit den Bedenken der Parteien auseinander zu setzen habe. Unterließe das Gericht die Auseinandersetzung, bliebe es jedoch folgenlos. Zwar wäre der Weg zu einer Gegenvorstellung eröffnet, der Beweisbeschluss bliebe aber unanfechtbar. Es wäre aber ein Schritt, sie zu eröffnen, für den Fall, dass sich das Gericht bei der Bestellung des Sachverständigen überhaupt nicht mit dem negativen Votum einer Partei auseinandersetzte. Anderenfalls liefe die Partei, die Kritik an dem Sachverständigen geäußert hätte, Gefahr, dass der Sachverständige, wenn er trotzdem beauftragt werde, ihr dann möglicherweise tatsächlich nicht mehr neutral gegenüberstehe.

Die Prüfung und Mitteilungspflichten des Sachverständigen und im Missachtungsfall dieser Prüfungs- und Mitteilungspflichten vorgesehenen Rechtsfolgen (Erhöhung des Ordnungsgeldrahmens) werden befürwortet.

Die Fristsetzung beim Sachverständigengutachten und die Erhöhung der Ordnungsgelder sollten nur in den Fällen eintreten, dass der Sachverständige die Gründe bereits bei Ernennung kannte, nicht für solche, die unvorhersehbar nach Auftragserteilung eintreten. Es müsse die Mögl. eingeräumt werden, dass der Sachverständige die gesetzte Frist in bestimmten Fällen verlängern könne.

Schließlich wird darauf hingewiesen, dass nach den bisherigen Stundensätzen die Beauftragung als gerichtlicher Sachverständiger wenig attraktiv wäre und daher viele qualifizierte Gutachter jedenfalls überwiegend als Privatgutachter mit entsprechender Vergütung tätig werden.

Der Deutsche Richterbund begrüßte, dass die Anhörung der Parteien obligatorisch werden solle, das stärke den Anspruch auf rechtliches Gehör. Ausnahmen sollten in Eilverfahren und für die Sozialgerichtsbarkeit gelten.

Dort sei es bereits gängige Praxis, dass die Parteien vor der Ernennung des Sachverständigen bereits gehört würden. Einwände gegen die Person oder Fachkunde des Sachverständigen werden von den Parteien meist eigenständig erhoben.

Einwände gegenüber der Tätigkeit oder den Feststellungen des Sachverständigen können grundsätzlich erst nach seiner Beauftragung erfolgen und aus diesem Grund von dem neuen Anhörungsrecht nicht erfasst werden. Vor dem Hintergrund dürfte der Regelung eher eine klarstellende Funktion zukommen. In einfach gelagerten Fällen wird sich die Verfahrensdauer allerdings unnötig verlängern.

Nach dem Eindruck des Bunds Deutscher Sozialrichter hat die öffentliche Diskussion zur Unabhängigkeit gerichtlich bestellter Sachverständiger und der Qualität gerichtlicher Gutachten die Sozialgerichtsbarkeit trotz der hohen Anzahl der in Auftrag gegebenen Gutachten bisher keine zentrale Rolle gespielt. Daraus schließt der BDS, dass das bisherige Recht der Begutachtung sowie die sozialgerichtliche Praxis in dieser Hinsicht weitgehend auf Akzeptanz stoßen. Auch von Seiten der Richterschaft ist keine grundlegende Kritik übermittelt worden.

Für eine Anhörung der Beteiligten zur Person des zu ernennende Sachverständigen solle abgesehen werden, da dies nicht notwendig erscheine. Meist habe bei medizinischen Fragestellungen in sozialgerichtlichen Verfahren eine entsprechende Beweiserhebung einschließlich der Einholung von Gutachten schon im vorangegangenen Verwaltungsverfahren stattgefunden. Die Klägerseite kann also bereits in einem sehr frühen Stadium durch Vorlage geeigneter Unterlagen die medizinischen Ermittlungen mit beeinflussen.

Einwendungen gegen die Person des gerichtlichen Sachverständigen werden nach Erfahrung der BDS nur selten erhoben.

Gutachter, die bereits in dem Vorverfahren für einen der Beteiligten tätig waren, schieden naturgemäß für eine Bestellung durch das Gericht aus. Gleiches gelte für Ärzte, die eine persönliche oder enge wirtschaftliche Bindung zu einem der Beteiligten aufwiesen. Einige medizinische Fragestellungen träten regelmäßig bei den Sozialgerichten auf. Für diese werde i.d.R. auf einen überschaubaren Kreis von Ärzten zurückgegriffen, die in der Region tätig wären oder bekanntermaßen Erfahrungen bei der Erstellung von Gerichtsgutachten aufwiesen. Ihre Unabhängigkeit und Fachkompetenz werde auch von keiner Seite angezweifelt.

Die Gutachten vor den Sozialgerichten werden meist schriftlich erstattet. Vor der Einbestellung bestehe genügend Zeit, sich zu dem Gutachter zu äußern, Einwendungen zu erheben und im Extremfall sogar einen Ablehnungsantrag zu stellen. Beides sei im Sozialgerichtsverfahren selten. Damit wäre das rechtliche Gehör der Beteiligten bei der Auswahl der Sachverständigen gewahrt. Werden nachvollziehbare Gründe vorgebracht, die gegen die Person eines Sachverständigen sprechen, folge das Gericht diesen im Regelfall, denn es sei daran interessiert, dass die gutachterliche Untersuchung reibungslos ablaufe und das Gutachten möglichst auf Akzeptanz bei den Beteiligten stoße.

Die Vorschrift des § 109 SGB gäbe den Klägern die Möglichkeit, eine weitere Begutachtung durchführen zu lassen, wenn das von Amts wegen eingeholte Gutachten für sie negativ ausfalle und das Gericht keine weiteren Ermittlungen von Amts wegen mehr vornehmen wolle. Sie könnten selbst einen Arzt als Sachverständigen benennen, wobei sie im Regelfall die Kosten für die Begutachtung vorzustrecken haben. Die Kosten würden erstattet, wenn das Gutachten das Verfahren objektiv gefördert habe. In dem sozialgerichtlichen Verfahren könnten Kläger also die Entscheidung über die Person eines ärztlichen Sachverständigen nicht nur beeinflussen, sondern sogar teilweise bestimmen. Das unterscheidet das SGG von anderen Prozessordnungen deutlich.

Mangelhafte GA und eine zum Teil unzureichende Qualifikation der Sachverständigen, wie sie in dem Gesetzentwurf für die familiengerichtlichen Verfahren beschrieben wären, ließen sich für die Sozialgerichtsbarkeit nicht in erheblichem Umfang feststellen.

Eine Pflicht zur Anhörung werde aus sozialgerichtlicher Sicht sogar als schädlich angesehen.

Bereits jetzt gestalte sich die Verfahrensführung namentlich in Streitsachen mit medizinischem Klärungsbedarf aufwändig und zeitintensiv.

Oftmals stünden sich widersprechende Gutachten gegenüber, was Nachfragen bei den Sachverständigen durch die Beteiligten und das Gericht veranlasse und die Würdigung der Gutachten sehr anspruchsvoll mache.

Anders als in den anderen Verfahren kann auch nicht, ohne die Parteien zu Wort kommen zu lassen, mit der Zustellung der Klageschrift der Gutachter bestimmt werden. Es werde erst einmal die Verfahrensakte beigezogen und alle darin enthaltenen medizinischen Gutachten ausgewertet. Dann erst werde ein Sachverständigengutachten eingeholt, möglicherweise noch weitere und die Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung befragt, so dass sich die Anhörungen weiterer summierten. Dadurch entständen bereits unangemessen lange Verfahren, die durch eine weitere Anhörung noch erhöht würde.

Eine Anhörung würde bei den Beteiligten Erwartungen wecken, die nicht erfüllt werden können. Bereits jetzt werden Atteste und Stellungnahmen behandelnder Ärzte im gerichtlich Verfahren vorgelegt. Die Sozialgerichte griffen jedoch aus guten Gründen bei der Sachverständigenauswahl nur in ganz besonderen Ausnahmefällen auf die behandelnden Ärzte zurück. Es sei also nicht zu erwarten, dass sie entsprechenden Vorschlägen der Kläger folgen werden.

Es wird vorgeschlagen die Sozialgerichte aufgrund der bei ihr bestehenden Besonderheiten im Verfahrensrecht und einer gerichtliche Praxis von der Anwendung auszunehmen. Viele Ärzte können mangels zeitlichen Ressourcen Sachverständigengutachten nicht oder nur nach langen Wartezeiten erstatten. An dieser grundlegenden Situation werde sich durch zunehmenden Druck in Form von Fristen und Ordnungsgeldern wenig ändern. Gerichte würden gezwungen sein, Fristen zur Erstattung von Gutachten auf Antrag zu verlängern bzw. mit der Festsetzung von Ordnungsgeldern maßvoll umzugehen.

Es stünde auch nicht zu erwarten, dass durch Erhöhung der Gelder für Sachverständige etwas verändert würde.

Am 15.10.2016 ist das Gesetz zur Änderung des Sachverständigenrechts in Kraft getreten.

Eine Sollvorschrift zur Anhörung der Parteien vor der Ernennung des Sachverständigen gibt es nicht, vielmehr ist es in das Ermessen des Gerichts gestellt, ob die Parteien vorher angehört werden.

Der Sachverständige hat unverzüglich zu prüfen, ob der Auftrag in sein Fachgebiet fällt und innerhalb der vom Gericht gesetzten Frist erledigt werden kann sowie das Gericht unverzüglich verständigen, wenn das nicht der Fall ist.

Es besteht eine Mitteilungspflicht des Sachverständigen zu prüfen, ob ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen seine Unparteiligkeit zu rechtfertigen und dem Gericht diese Gründe mitzuteilen. Im Unterlassungsfall kann gegen ihn ein Ordnungsgeld festgesetzt werden.

Das Gericht setzt dem Gutachter eine Frist, innerhalb derer er ein schriftliches Gutachten zu erstellen hat Sollte diese Frist versäumt werden, soll unter Setzung einer Nachfrist ein Ordnungsgeld angedroht werden. Das Ordnungsgeld ist von 1000 € auf 3000 € erhöht worden.

Die neuen Vorschriften sind auch auf das sozialrechtliche Verfahren anwendbar.