Ulrich Lekter: Auf ein Wort

Unser Leid mit den Leitlinien

Leitlinien sind Aussagen zur Unterstützung der Diagnose und Therapie der Ärzte bei bestimmten Erkrankungen.

Die medizinischen Erkenntnisse zur Behandlung der Borreliose waren bislang in den Leitlinien diverser Fachgesellschaften festgelegt u.a. von der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft, der Gesellschaft für Neurologie und der Deutschen Borreliose Gesellschaft.

Dann entstand die Idee, fachübergreifend S3-Leitlinien über die Kutane Lymeborreliose und über die Neuroborreliose zu entwickeln.

 

Mit Spannung haben wir, die Betroffenen, besonders den Leitlinien für Neuroborreliose entgegengesehen. Unsere Erwartungen waren groß. Zum ersten Mal trafen die Ärzte der Neurologie und der Deutschen Borreliose Gesellschaft mit ihren unterschiedlichen Ansätzen zusammen, um ihre Erkenntnisse aus Forschung, Wissenschaft und Lehre und den praktischen Erfahrungen und Heilmethoden zusammenzutragen und dieses Wissen in neue Leitlinien umzusetzen.

Wir wussten um die Schwierigkeiten dieses Vorhabens.

Angesichts der Symptomvielfalt der Erkrankung und den unterschiedlichen Ansätze war es für alle Beteiligten eine Herausforderung. Der Vertreter der Borreliose Gesellschaft stellte eine Minderheit. Gleichwohl hatten wir auf eine ehrliche und ergebnisoffene Diskussion gesetzt. Wir hatten gehofft, dass die unterschiedlichen Ansätze ernstgenommen, zugelassen und beleuchtet würden, eigene Standpunkte hinterfragt und durchdacht würden, um dann zu gemeinsamen Erkenntnissen zu kommen, in denen auch noch offene Fragen artikuliert und für weitergehende Forschungen fruchtbar gemacht würden.

Bekanntlich bestehen auf beiden Seiten Unsicherheiten. Die Ärzte stoßen bei dieser Krankheit vielfach auf noch unerforschtes Gebiet vor und sind insbesondere in den Fällen chronischer Borreliose noch weit davon entfernt, sichere Diagnosen zu stellen und entsprechende Heilerfolge anbieten zu können.

 

Ende 2017 sollten die Leitlinien veröffentlicht werden.

Noch bevor es dazu kam, entbrannte ein Disput über Formalien. In bekannt wadenbeisserischer Manier brach eine Patientenvertreterin hierüber öffentlich einen Streit vom Zaun.

Dann geschah das Unglaubliche: Wie von der Kette gelassen, gingen beide Ärztegruppen aufeinander los. Eine von aus diesseitiger Sicht aussichtslose einstweilige Verfügung brachte einen Papyrussieg ein, der von Seiten der Patientenvertreterin vorschnell öffentlich gefeiert wurde, im Beschwerdeverfahren aber kassiert wurde, was von der Patientenvertreterin höhnisch kommentiert wurde.

Es folgten niederschmetternde Kritiken, mit denen der eigene Standpunkt als einzig wahre Heilslehre verkündet wurde und der gegenteilige Standpunkt verrissen wurde.

Zurück blieb ein Scherbenhaufen.

Die vielversprechenden Ansätze des Dialogs zwischen den Lagern, die Möglichkeit, zukünftig gemeinsame Wege beschreiten zu können, übergreifend einen lebhaften Austausch über neue medizinische Erkenntnisse zu führen, scheinen erst einmal auf Eis gelegt.

 

„Herr, wirf Hirn vom Himmel“

Unser Appell an die Ärzte:  

  • Die Mehrzahl der Betroffenen ist vernunftsbetont. Die Lautesten verschaffen sich zwar in der Öffentlichkeit Gehör, doch erfassen diese nicht die Meinung aller, sondern allenfalls einer Minderheit. Wir wünschen uns einen lässigeren Umgang mit Provokationen. Die Ziele sollten nicht aus dem Auge verloren werden.
  • Uns ist es nicht wichtig, an welcher Stelle des Textes der Leitlinien gegenteilige Standpunkte eingearbeitet sind. Wichtig ist uns, dass sie eingearbeitet worden sind. Wir können lesen und sind in der Lage, die für uns wichtigen Informationen zu finden. Das trauen wir auch anderen zu.
  • Wir wissen, dass Sie als Ärzte unterschiedliche Standpunkte haben. Beide Standpunkte basieren auf medizinischen Erkenntnissen. Sie haben ihre Stärken, sie haben ihre Schwächen. Ständiges stereotypes Wiederholen der eigenen Heilmethode in der Öffentlichkeit und ständige Diffamierungen anderer Heilerfolge bringen uns in der Sache nicht weiter.
  • Es mag sein, dass in vielen Fällen Neurologen die Neuroborreliose mit einer kurzzeitigen Antibiotikagabe heilen können und geheilt haben.
  • Für viele von uns hat diese kurze Antibiose aber nicht ausgereicht. Wir sind von Facharzt zu Facharzt weitergereicht worden. Trotz bestehender Krankheit mit massiven Beschwerden, die uns nicht nur Lebensqualität genommen haben sondern uns arbeitsunfähig gemacht haben, wurden keine Ursachen gefunden. Weil die Krankheit nicht erkannt wurde, wurden viele als eigebildete Kranke betrachtet und vorschnell in die Psychiatrie abgeschoben. Die Wahrheit lag ganz woanders: Die Fachärzte haben nichts gefunden, weil sie nicht wussten, wonach sie noch suchen sollten bzw. was es zu finden gab.
  • Vielfach war eine Borreliose die Ursache aller Beschwerden. Nach einer längeren Antibiotikaeinnahme vergingen sie. Auch, wenn in mehreren Fällen nochmals mit Antibiotika nachbehandelt werden musste, diese Behandlung hat den meisten von uns die Gesundheit zurückgebracht.