1. Gerichtliches Verfahren Teil 1

Wie läuft im gerichtlichen Verfahren die Begutachtung durch einen gerichtlich bestellten Sachverständigen ab?

(Teil 1)

Bevor wir mit einem gerichtlich bestellten medizinischen Sachverständigen zu tun bekommen, ist schon vieles passiert: Wir haben bereits eine Menge von Ärzten konsultiert, diese haben Berichte geschrieben, Atteste ausgestellt, wir haben an Rehabilitationsmaßnahmen teilgenommen, über die wir ärztl. Berichte beibringen können.

Die Ärzte raten uns z.B. dazu, eine Rente wegen Berufsunfähigkeit zu stellen, weil wir infolge einer chronischen Borreliose in unserem Beruf nicht mehr weiterarbeiten können. Wir stellen die Ansprüche bei der Versicherung. Die Versicherung bekommt die gesamten Unterlagen vorgelegt. Sie zeigt sich nicht sonderlich beeindruckt und will ihrerseits überprüfen, ob der Anspruch zu Recht erhoben wird.

Die Versicherungen lassen Gutachten über unseren Zustand erstellen. Erstmals ist nicht mehr von Ärzten, sondern Sachverständigen die Rede, obwohl es wieder Ärzte sind, die diese Gutachten erstellen. Was also ist der Unterschied zwischen den Sachverständigen und den Ärzten, von denen wir die Berichte vorliegen haben? Die Versicherungen behandeln die von ihr in Auftrag gegebenen Gutachten mit Vorrang, was ihr gutes Recht ist. Zum einen haben sie das Gutachten in Auftrag gegeben, weswegen sie dem Gutachten mehr Vertrauen schenken, so wie wir unseren Ärzten mehr vertrauen, als den Sachverständigen, die die Versicherungen beauftragt haben. Zudem behaupten die Versicherungen, die Sachverständigen bzw. die Ärzte, die sei beauftragt haben, seien neutral im Gegensatz zu unseren Ärzten, weil sie vorher nicht mit dem Fall befasst gewesen wären. Schließlich leiten sie aus der Bezeichnung der Ärzte als Sachverständige ab, dass die Erkenntnisse aus diesen Gutachten mehr wiegen als die Berichte unserer Ärzte.

Der Begriff des Sachverständigen ist gesetzlich nicht geregelt. Ein Sachverständiger ist eine Person, die über seine beruflichen Kenntnisse und Erfahrungen hinaus auf einem bestimmten Gebiet, für das er als Gutachter bestellt wird, eine besondere Sachkunde besitzt. Ein Gutachter behandelt den Betroffenen nicht, er verschafft sich einen Überblick über den Zustand des Betroffenen, indem er die Berichte und Atteste der anderen Ärzte liest, sie auswertet. Er bewertet die unterschiedlichen Auffassungen der anderen ärztlichen Berichte und gibt seine Ergebnisse wieder. Erforderlichenfalls kann er eigene Untersuchungen anstellen und stützt den einen oder anderen Standpunkt oder kommt zu einem völlig anderen Ergebnis als die Vorberichte.

Er hat daher eine herausragende Position, doch werten im Gerichtsverfahren die Ergebnisse der Gutachten der Versicherungen nicht höher als die unserer Berichte und Atteste.

Auch bei den Gerichten hat sich im Wesentlichen die Erkenntnis durchgesetzt, dass die von der Versicherung beauftragten Sachverständigen in den seltensten Fällen völlig neutral sind. Das ist von dem System her gar nicht zu erwarten. Die Gutachter werden von der Versicherung eingesetzt und bezahlt. Allein das stellt einen Anreiz dar, zumindest in Zweifelsfällen alles in die Waagschale zu werfen, was die Interessen der Versicherung fördert und deren Standpunkt untermauert. Wenn ein Sachverständiger zum Nachteil der Versicherung zu oft Ansprüche der Betroffenen begründet, dürfte er wenige Chancen haben, erneut Aufträge der Versicherung zu erhalten. Hierzu verweise ich auf meinen nächsten Beitrag und das wiedergegebene Zahlenmaterial. Nur in relativ eindeutigen Fällen kommt der Sachverständige zu einem für den Antragsteller günstigen Ergebnis.

Vor diesem Hintergrund sehen die Gerichte in dem von den Versicherungen bestellten Sachverständigengutachten – zumindest in den meisten Fällen – nicht mehr als ein Parteigutachten. Wenn wir nach einem abgelehnten Widerspruch Klage erheben, können wir davon ausgehen, dass das Gericht nicht einseitig unseren oder den Beweisen der Versicherung glaubt, sondern nochmals die Prüfung der medizinischen Voraussetzungen von einem gerichtlich bestellten Sachverständigen vornehmen lässt. Dieser sollte wirklich neutral und fachkundig sein. Dieser gerichtlich bestellte Sachverständige wird in der Regel das letzte Wort haben. Er ersetzt dem Richter die fehlende Sachkunde. In den allermeisten Fällen richtet sich der Richter nach seinen Darlegungen, obwohl ihn ein solches Gutachten nicht von der Verpflichtung befreit, selber die Gründe für das Urteil darzulegen. Regelmäßig wird er aber die Gründe wiederholen und ausführen, warum er diesen Begründungen folgt. 

Diese Erkenntnis sollten wir als Chance sehen und nutzen!

Bevor das Gericht einen Sachverständigen ernennt, kann es die Parteien zu der Person des Sachverständigen anhören. Jetzt heißt es, Informationen zu der Person des Sachverständigen einzuholen. Meist kennt der ortsfremde Anwalt den Sachverständigen nicht, und es ist schwer, etwas über den Sachverständigen herauszufinden, gleichwohl sollte der Phantasie bei der Nachforschung keine Grenzen gesetzt werden. Jeder hat dabei seine eigene Methode. Meist bleibt den Betroffenen nur ein Zeitfenster von zwei Wochen, sich kundig zu machen, und das ist nicht viel. Wenn man mit der Auswahl einverstanden ist, umso besser. Ist man das nicht, muss eine Ablehnung sehr gut begründet werden.

Das Gericht ist aber nicht verpflichtet, dem Ablehnungsgesuch nachzugeben, auch wenn eine Partei gute Gründe dafür anführt, warum sie einen Sachverständigen für ungeeignet hält. Das Gesetz schreibt nicht einmal vor, dass das Gericht seine Entscheidung, einen bestimmten Sachverständigen zu benennen, begründet. Hat der Richter einen Beweisbeschluss erlassen, ist er unanfechtbar.

Zu hoffen bleibt, dass der Sachverständige souverän mit der Begründung und Ablehnung umgeht, anderenfalls könnte er nicht mehr ganz so neutral der ihn abgelehnten Partei gegenüber stehen, weil menschlich etwas von den Angriffen zurückgeblieben ist.

Schlagen die Parteien dem Richter Sachverständige vor, kann er versuchen, mit den Parteien eine Einigung über einen Sachverständigen zu finden. Auch die Parteien können sich von sich aus auf einen Sachverständigen einigen. An diese Einigung ist das Gericht gebunden.

Eine Anhörung zu der Person des Sachverständigen kann aus unterschiedlichen Gründen unterbleiben. Auf diese Ausnahmen soll vorliegend nicht eingegangen werden.

Weitere Sachverhalte, aus denen ein Sachverständiger ausgeschlossen oder abgelehnt werden kann, sind die, aufgrund derer ein Richter abgelehnt werden kann. Ausschlussgründe sind Verwandtschaft oder Schwägerschaft mit einer Partei, mögliche Befangenheit, weil er in irgendeiner Weise bereits mit der Sache vorbefasst war und sei es auch nur als Zeuge.

Der wichtigste Ablehnungsgrund ist die Besorgnis der Befangenheit des Sachverständigen. Das sind solche Ereignisse, die Misstrauen gegen die Unparteilichkeit der Person des Sachverständigen befürchten lassen. Hierbei ist jedoch darauf zu achten, dass die Gründe unverzüglich nach Bekanntwerden geltend gemacht werden, weil sonst das Recht verwirkt werden kann, worauf ich im Rahmen der Darstellung des Verhaltens während der Begutachtung noch zurückkommen werde.

Das Gericht arbeitet die Fragen aus, zu denen der Gutachter Stellung nehmen soll. Er kann dem Sachverständigen Weisungen erteilen, ihm die Aufgabe erläutern und ihn in die Aufgabe einweisen. Wichtig ist, dass das Gericht die Tatsachen festschreiben muss, die der Sachverständige seinem Gutachten zugrunde zu legen hat. Der Sachverständige darf von sich aus die Tatsachen nicht ergänzen, sondern muss das Gericht und in Zweifelsfällen die Parteien hierzu hören. Ergänzt der Sachverständige den Sachverhalt, kann dies einen Angriffspunkt für die beteiligten Parteien darstellen.

Ist ein Sachverständiger öffentlich bestellt, hat er das Gutachten zu erstellen, wenn das Gericht ihn beauftragt, in anderen Fällen muss er sich innerhalb einer Ausschlussfrist dazu äußern, ob er den Auftrag annimmt. Nimmt er ihn an, ist er zur Erstattung des Gutachtens verpflichtet.

Mit der Auftragserteilung setzt der Richter dem Gutachter eine Frist, innerhalb derer der Sachverständige das Gutachten zu erstellen hat. Die Frist muss großzügig bemessen sein, wobei neben dem Gebot einer beschleunigten Verfahrensführung, der voraussichtliche Zeitaufwand einer fachgerechten Begutachtung und der Umfang der Beweisfragen und der Akten sowie der erforderlichen Tatsachenfeststellungen und der fachlichen und tatsächlichen Komplexität des zu begutachtenden Sachverhalts zu berücksichtigen ist. Eine Überlastung des Sachverständigen kann zu seiner Entbindung führen, ist aber bei der Bemessung der Frist außer Betracht zu bleiben. Dem Sachverständigen ist Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben, ob er unter Berücksichtigung der ihm derzeit bekannten Umstände, insbesondere der Arbeitsauslastung, die Frist einhalten kann. Ist es ihm nicht möglich, kann er sich von der Verpflichtung entbinden lassen oder eine längere Frist beantragen. Es bleibt dem Gericht unbenommen, auf begründeten Antrag des Sachverständigen eine Fristverlängerung zur Erstattung des schriftlichen Sachverständigengutachtens zu gewähren oder ihn von der Verpflichtung zu entbinden.

Hält der Sachverständige die Frist nicht ein, kann gegen ihn nach erneuter Fristsetzung und Androhung ein Ordnungsgeldes, ein Ordnungsgeld verhängt werden, das auf 3000 € festgesetzt werden kann.

(Fortsetzung folgt)