4. Die Begutachtung

Vor und während der Begutachtung: worauf haben wir zu achten?

 

Sobald absehbar ist, dass der Richter Beweis durch ein Gutachten eines gerichtlich bestellten Sachverständigen erheben will, nähern wir uns dem Höhepunkt des Verfahrens.

Die Schritte, die jetzt folgen, kennen wir aus den vorherigen Ausführungen zum größten Teil schon.

Wir müssen uns auf alle sorgfältig vorbereiten.

Möglicherweise dürfen wir dem Gericht einen Sachverständigen vorschlagen. Für diesen Fall sollten wir uns bereits vorher erkundigen, welcher für uns in Frage kommt. Wir sollten möglichst mehrere vorschlagen. Wenn die Gegenseite Vorschläge macht, sollten wir genau prüfen, ob für uns einer der Vorschläge in Frage kommt. Im Idealfall gibt es sogar Überschneidungen, so dass man schnell zu einer Einigung kommt.

Die andere Möglichkeit ist, dass das Gericht uns einen Sachverständigen vorschlägt und wir die Möglichkeit haben, dazu Stellung zu nehmen. Nun gilt es, alles, was wichtig ist, über diesen Sachverständigen herauszufinden. Was erwartet uns? Ist der Sachverständige fachlich geeignet? Viele Gutachter, die als Experten für Borreliose gelten, sind Neurologen oder Psychologen. Es stellt sich die Frage, ob die Folgen unserer Erkrankung einer dieser Disziplinen zuzuordnen ist? Wenn nicht, ist Vorsicht geboten. Wenn der Sachverständige z.B. nur nach den Richtlinien des DGN sein Gutachten erstellt, können wir damit rechnen, dass er bestimmte Ausprägungen unserer Erkrankung nicht als Folge der Borreliose akzeptiert und bei einer durchgeführten vierzehntägigen Antibiose die Erkrankung als ausgeheilt ansieht.

Es gibt die Möglichkeit den Sachverständigen aus diesem Grunde auszuschließen. Hierzu sollten Sie einen mit Borreliose vertrauten Anwalt konsultieren.

Wenn das Gericht den Sachverständigen ernennt, formuliert es gleichzeitig die Beweisfragen, zu denen er Stellung zu nehmen hat und beschließt, ob der Sachverständige uns noch einmal untersucht, oder er lediglich anhand der Aktenlage eine Stellungnahme abgibt.

Bitte auch in diesem Fall nicht passiv verharren. Auf diesen Beschluss können Sie auch Einfluss nehmen. Überprüfen Sie, ob das Beweisthema richtig gestellt ist, d.h. ob alles erfasst ist, was zu beweisen ist. Stellen Sie fest, ob es ausreichend ist, dass das Gutachten ohne eine Untersuchung durchgeführt wird, oder die Untersuchung notwendige Voraussetzung ist. Sorgen Sie dafür, dass der Beweisbeschluss entsprechend abgeändert wird. Bedenken Sie: es ist auch für Sie wichtig, von dem Gutachter einen persönlichen Eindruck zu bekommen.

Angenommen, es steht eine Untersuchung an. Die Ratschläge, die hierbei zu erteilen sind, klingen teilweise simpel, profan, vorhersehbar und logisch. Sie werden den Kopf schütteln und sagen, wie sonst? Das ist richtig, aber ich weiß aus meiner täglichen Arbeit: viele Betroffene beachten sie nicht oder vernachlässigen sie! Oftmals stecken sie den Kopf in den Sand und lassen alles auf sich zukommen. Das ist falsch.

  • Bereits auf die Festsetzung des Zeitpunkts des Untersuchungstermins sollten Sie Einfluss nehmen. Am besten ist es, Sie kommen einer Bestimmung des Termins durch den Sachverständigen zuvor, indem Sie einen Termin vereinbaren.               Achten sie darauf, dass Sie zum Zeitpunkt der Untersuchung geistig/ körperlich auf dem Höhepunkt sind. Viele von uns sind das, infolge der Erkrankung, nur zu einer bestimmten Tageszeit, manche morgens, manche im Laufe des Tages. Sorgen Sie dafür, dass der Termin so liegt, dass sie ihm gewachsen sind. Zögern Sie nicht, den Termin auch im Nachhinein, mit einer plausiblen Begründung auf einen Zeitpunkt zu verschieben, der Ihren Bedürfnissen entgegenkommt.
  • Bereiten Sie sich auf den Termin gut vor! Sehen Sie zu, dass Sie auch bei der Begutachtung möglichst die Situation kontrollieren. Dazu gehört:                                    beachten Sie, dass Sie, sobald Sie sich in Sichtweite der Praxis / der Klinik des Sachverständigen befinden, unter ständiger Beobachtung stehen. Es wäre nicht das erste Mal, dass einem Patienten, der infolge leichter Verspätung mit letztem Kraftaufwand eilig den Untersuchungsraum aufsucht, vorgehalten wurde, draußen auf dem Parkplatz aber noch besser zu Fuß gewesen zu sein, als er es nun bei der Untersuchung glauben machen wolle. Die Erklärung, es wäre nur unter erheblicher Anstrengung kurzfristig möglich, stieß auf taube Ohren.
  • Achten Sie darauf, alle Unterlagen gut geordnet in einem Ordner dabei zu haben. Falls der GA einige Unterlagen, die Ihnen wichtig sind, nicht präsent haben sollte, müssen Sie ihm diese vorlegen können und nicht nur vage bezeichnen können. Nur so zwingen Sie den Gutachter, diese zur Kenntnis zu nehmen. Sorgen Sie dafür, dass er sie kopiert und zu seinen Unterlagen nimmt, damit er nicht behaupten kann, er hätte sie nicht gehabt.
  •  Hilfreich ist es, wenn Sie über einen längeren Zeitraum vor der Untersuchung Tagesberichte über Ihren Zustand gefertigt haben. Damit ist Art und Umfang Ihrer Erkrankung dokumentiert und der Gutachter wird gezwungen, sich mit diesem Krankheitsbild zusätzlich auseinander zu setzen.
  • Alle wichtigen Details, insbesondere Daten mit dazugehörenden Ereignissen, sollten Sie im Kopf oder zumindest so notiert haben, damit Sie sie sofort aufgreifen können und schildern oder vorlesen können.
  • Sie sollten auch auf unvorhersehbare Situationen vorbereitet sein, um richtig zu reagieren. Hierzu ein Beispiel: Die Ärzte leiden meist an notorischer Zeitarmut. Ich habe beides erlebt: die Situation, in denen der Sachverständige tatsächlich nicht Arme und Beine genug hat, seine Arbeit zu leisten. Es gibt aber auch die Variante, dass der Sachverständige während des Termins, in dem die Begutachtung stattfinden sollte, noch einen langausgedehnten gemütlichen Plausch im Nebenraum hält und dann, mit einer enormen Verspätung ganz eilig die Untersuchung abspulen will, mit der Begründung, es stünde gleich ein ganz wichtiger Termin an. Besteht der Patient darauf, dass sich der Sachverständige, Zeit für ihn nimmt, weil er einiges mitzuteilen habe oder zu besprechen habe, dann kommt die prompte Frage, ja und was? Wenn der Patient jetzt ins stammeln kommt, hat der Gutachter leichtes Spiel, ihn endgültig abzubügeln. Dem Patienten muss es gelingen, in Kürze einen Katalog aller wichtigen Details vorzubringen, über die er meint, dass der Sachverständige sich auseinandersetzen muss und ihn in ein Gespräch verwickeln. Gehören Sie nicht zu den Personen, die in solchen Extremsituationen eloquent und schlagfertig genug sind, ihre Standpunkte zu verteidigen, müssen Sie das trainieren. Spielen Sie mit anderen Personen alle erdenklichen Situationen durch, damit Sie auf möglichst viele vorbereitet sind!
  • Machen Sie sich auch mit medizinischen Fachausdrücken vertraut, damit der Gutachter Sie nicht damit aus der Fassung bringen kann. Um medizinische Hintergründe zu begreifen und Argumente zu erarbeiten, befragen Sie Ihren Hausarzt oder behandelnden Arzt. Vorsichtig sollten Sie walten lassen bei Informationen, die Sie von anderen haben, oder sich selbst zurechtgelegt haben, aus Informationsquellen, wie z.B. ärztlicher Fachliteratur oder dem Internet. Auch, wenn sie einem selber plausibel und überzeugend erscheinen, müssen sie nicht richtig sein. Bevor Sie derartige Thesen dem Sachverständigen entgegenhalten, sollten Sie sie vorher mit einem Arzt besprochen haben. Wenn sie völlig neben der Sache liegen, ist es besser, dass der Arzt Sie darauf hinweist, als der Sachverständige. Sollten sie richtig sein, kann der Arzt Ihnen u.U. noch wichtige Formulierungshilfen und Argumentationshilfen geben.
  • Bringen Sie jemanden zu der Untersuchung mit, der ggf. auch als Zeuge dienen kann. Auf diese Weise können Sie Vorkommnisse, die der Gutachter bestreitet, später beweisen. Zudem kann der Betreffende Sie aus Situationen herausholen, in denen Sie den Faden verlieren, Ihnen zu einer Auszeit verhelfen oder Sie dabei unterstützten, Ihren Standpunkt durchzusetzen, wenn die Kraft Sie verlässt.
  • Unterschätzen Sie die Situation nicht, die Untersuchung bedeutet für Sie Stress. Sie kostet Sie viel Kraft und sie müssen Stunden voll konzentriert sein!
  • Insbesondere bei psychologischen Untersuchungen kann es sachdienlich sein, sie  nur unter vier Augen stattfinden zu lassen. Fertigen Sie in diesem Falle zeitnah ein Gedächtnisprotokoll an, damit Sie später noch wissen, was im Einzelnen besprochen worden ist. Dazu rate ich Ihnen im Übrigen auch, wenn ein/e Zeuge/in dabei ist. Fertigen sie gemeinsam einen detaillierten Bericht.
  • Bitte arbeiten Sie mit: oftmals sind die Betroffenen genervt. Zum wiederholten Mal werden sie untersucht, müssen sie die gleichen Fragen beantworten, über Fakten, die bereits in der Akte stehen, müssen Fragen beantworten über Geschehnisse, die Jahre manchmal Jahrzehnte zurückliegen. Sie wollen und können einfach nicht mehr und lassen ihren Frust an dem Sachverständigen aus. Sie werden aggressiv und frech, weil sie Details nicht wissen, weil sie meinen, der Arzt wollte sie ärgern, er hätte ja schließlich die Antworten in der Akte etc. Eine solche Reaktion ist falsch und fatal! Der Gutachter kann nichts dafür, dass man Ihnen all das zumutet, das Verfahren so lang dauert, oder die Situation so belastend ist. Der Gutachter macht seinen Job. Wenn er Sie nochmals untersucht und sich einen eigenen Eindruck verschafft, indem er Sie über alle Details, die wichtig sind für die Bewertung von Ihnen nochmals erfragt, ist das gut und richtig. Beantworten Sie diese Fragen gewissenhaft. Wenn Sie gut vorbereitet sind, dürfte das kein Problem für Sie sein. Wenn Sie etwas nicht wissen, schauen Sie auf Ihr Konzept oder in die Akte und lassen Sie sich Zeit. Bleiben Sie höflich und verbindlich.Wenn Sie nicht antworten, können Lücken im Sachverhalt auftauchen, die der GA entweder mit dem Wissen aus der Akte füllen kann oder aber zu Ihren Ungunsten ausgelegt. So kann er Zweifel an der Richtigkeit der Akteninhalte äußern. Hierzu ein Beispiel: wenn Sie unwirsch sagen, „was weiß ich denn, wann der Zeckenstich war oder wo er war, es ist doch schon so lang her“, kann das so ausgelegt werden, dass ein Zeckenstich vielleicht gar nicht vorgefallen ist und in anderen Zusammenhängen nur vorgeschoben wurde, denn ein so wichtiges Detail behält man normalerweise auch Jahrzehnte später im Gedächtnis.
  • Wenn es trotz Ihrer Freundlichkeit und Ihres Entgegenkommens zu Konfrontationen mit dem Arzt gekommen ist, Sie den Eindruck haben, dass er aus Ihrer Sicht ungeeignet, oberflächlich war oder parteilich, er sich zu unnötigen unsachlichen Angriffen auf Ihre Person hat hinreißen lassen oder gar nicht mit dem Fall vertraut war und offenbar zu denen gehört, die aus Textbausteinen ein Gutachten bastelt, ohne sich mit Ihrem Einzelfall besonders befasst zu haben, bitte alle Einzelheiten des Gesprächs notieren. Besprechen Sie mit Ihrem Anwalt, ob die Gründe ausreichen, den Gutachter abzulehnen, und ob es nicht ratsam ist, das sofort in die Wege zu leiten. Oftmals ist es so, dass, wenn das Bauchgefühl Ihnen sagt, dass der Gutachter gleich gegen Sie gestimmt war und die Chemie nicht gestimmt hat, dieses Gefühl richtig ist. Oftmals wird der Standpunkt vertreten, man sollte abwarten, wie das Gutachten ausfällt, bevor man den Gutachter ablehnt. Davon rate ich ab. Bedenken Sie: die Gründe für einen Ausschluss müssen unmittelbar nach Bekanntwerden erfolgen. Wenn Sie sie später vorbringen, wird man Ihnen vorhalten, dass sie Sie eigentlich nicht gestört haben, Sie sie aber nur deshalb vorgeben, weil das Ergebnis des Gutachtens ungünstig für Sie ausgefallen ist. Was wollen Sie dem entgegnen, zumal die Erstellung des Gutachtens Monate dauern kann und diese Zeitdauer beim besten Willen nicht mehr als „unmittelbar nach Bekanntwerden der Gründe“ gelten kann?